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Martina Ehrlich

Ab sofort erscheint auf unserer Homepage immer freitags ein neuer Blog-Beitrag zu den unterschiedlichsten Regionen und Themen rund um Lateinamerika. Martina berichtet Aktuelles, Informatives, Skurriles und Spannendes vom Kontinent des Kolibris, erzählt Geschichten vom Reisen bis hin zu praktischen Tipps für die Vorbereitung Ihrer eigenen Reise.

Vom Kontinent des Kolibris 60 – die Erfindung des Gefriertrockenverfahrens

Wenn man sich auf der Hochfläche der Zentralanden aufhält oder bewegt – sei es in Bolivien, Peru, Ecuador, in Nordchile oder in Nordwestargentinien, kann man manchmal seltsam anmutende Dinge beobachten. In weiten, unwirtlich scheinenden Ebenen sieht man auf Hochlandgras-Stroh, bzw. heutzutage häufiger auf irgendwelchen Plastikplanen ausgebreitet… – ja, was eigentlich? Da liegen hundertfach kleinere oder noch kleinere unförmig rundlich oder auch länglich aussehende dunkle, gelbe, lilafarbene, rosarote oder fast gänzlich weiße „Irgendwas“…

Wenn man das Glück hat, dass sich an solch einem Platz grade Menschen aufhalten, sollte man kurzerhand anhalten und sich die Sache näher ansehen. Und man wird noch mehr staunen: Frauen, Männer und Kinder sind barfüßig dabei, diese ausgebreiteten Knubbel mit ihren nackten Füßen sanft und doch kräftig zu bearbeiten. Wenn man näher hinsieht, kann man erkennen, dass durch das Treten Flüssigkeit aus den Knubbeln austritt und dass sich offenbar auch eine dünne Schale löst:

Hier werden aus unterschiedlichen frischen Kartoffelsorten in einem uralten Verfahren nahezu ewig haltbare gefriergetrocknete Stärkepakete hergestellt, die die Hochlandbewohner seit Jahrhunderten in den mageren Zeiten nicht verhungern lassen und für sie ein Grundnahrungsmittel sind.

„Tunta“ und „Chuño“ werden die bekanntesten dieser fertigen Produkte purer Stärke dann genannt. Das Wort „Chuño“ leitet sich offenbar von der Bezeichnung für die Anden durch die beiden Andenurvölker Aymara und Quechua ab: „ch’uñu“ bedeutet bei ihnen „Falten“ und steht für das Faltengebirge der Anden.

Bereits aus präkolumbischer Zeit wurde die traditionelle Herstellung von „Chuño“ belegt. „Chuño“ wird aus den frischen sogenannten „Papa amarga“ hergestellt. Dazu gehören zum Beispiel Sorten wie „Solanum curtilobum“ und „Solanum juzepczukii“, die unbehandelt tatsächlich giftig sind. „Chuño“ gilt grundsätzlich als ein einfaches Bauernessen und man bekommt es so gut wie nie in Restaurants angeboten. Andere Arten tragen den Namen „Chuño blanco“ oder eben die bereits genannte „Tunta“. „Tunta“ wird tatsächlich ganz weiß im Endstadium und gilt als höherwertig wie „Chuño“.  Auch die frische „Oka“ kann mit dem außergewöhnlichen Verfahren in pure Stärke verwandelt und damit ewig haltbar gemacht werden, das Endprodukt nennt sich „Khaya“.

Doch wie funktioniert das nun? – Je nach Kartoffelsorte, Standort und den damit verbundenen Bedingungen wie Anzahl der Nachtfröste und Intensität der Sonneneinstrahlung ist die Bearbeitungsdauer und -art variabel. Das Grundverfahren ist aber immer dasselbe: Die frischen Knollen werden ab Juni nach ihrer Ernte auf besagten Unterlagen wie Hochlandstroh oder Plastikfolien ausgebreitet, so dass jede Kartoffel separat liegt und sie nicht aufeinandergehäuft sind. So werden sie dann vier oder fünf Tage dem in den Anden zu dieser Jahreszeit regelmäßig auftretenden Nachtfrost ausgesetzt. Dadurch werden die Zellwände der Knollen beschädigt und werden weich. Nun kommen die Andenbewohner, um die weichen Kartoffeln vorsichtig mit ihren nackten Füßen zu bearbeiten, damit die Flüssigkeit austreten kann. Den Rest macht die Natur: die tagsüber sehr intensive Sonneneinstrahlung trocknet die Kartoffeln aus, der Nachtfrost lässt sie gefrieren usw. Dieser Prozess kann je nach Wetterbedingungen nur wenige Tage oder bis zu drei Wochen dauern. Dies ist nichts anderes als das Verfahren des „Gefriertrocknens“ und es verwandelt die Kartoffeln in federleichte, steinharte Stärkelieferanten, die ganz einfach zu lagern und aufzubewahren sind für die „Hungerzeiten“ der einfachen Bevölkerung in den Anden. Manche Sorten werden nach dem Gefrierprozess erst einen Monat lang gewässert und erst anschließend getrocknet.

Für die Zubereitung zum Beispiel in Eintöpfen, Suppen oder als Beilage werden die Trockenkartoffeln in Wasser oder direkt in Brühe eingeweicht. Dadurch nehmen sie – ähnlich wie Nudeln oder – Reis stark an Volumen zu. Das aufbereitete Produkt wird traditionell auch gerne in kleinere Stückchen geteilt und mit einem zerschlagenen Ei verquirlt, um damit eine nahrhafte Mahlzeit zu haben. Je nach Sorte haben „Chuño“ oder „Tunta“ einen eher leicht süßlichen Geschmack. Sie haben mit dem „normalen“ Kartoffelgeschmack nicht mehr sehr viel gemein. Heute findet man in den Andenregionen ab und zu Gerichte, in denen man die gefriergetrockneten Kartoffeln mit verwendet. „Sajta“ zum Beispiel besteht aus gegrilltem Huhn, das mit Reis, Tomaten, Zwiebeln und gefriergetrocknetem „Chuño“ serviert wird. Dieses Gericht gilt als eines der traditionellsten und verbreitetsten. 

Nicht die Inka, denen ja sehr viele Errungenschaften zugeordnet werden, haben dieses Gefriertrockenverfahren erfunden, sondern schon lange vor ihnen andere Hochlandvölker wie zum Beispiel die Menschen von „Tiahuanaco“ oder „Huari“. Es gilt als nahezu gesichert, dass die alten Andenvölker damit die Erfinder des Gefriertrockenverfahrens sind! Ist das nicht erstaunlich? – Durch die extremen Bedingungen im Hochland, in dem sie seit Jahrtausenden ihr Auskommen finden, wurden sie gezwungen, erfinderisch zu werden.

Sollten Sie also eine Reise durch die Anden machen und im sogenannten „Altiplano“ unterwegs sein, halten Sie die Augen offen nach den ausgebreiteten, womöglich schon eingeschrumpelten oder getrockneten Kartoffeln. Vielleicht haben Sie ja sogar das Glück, dass Sie Indigenen begegnen, die gerade dabei sind, die Kartoffeln mit ihren Füßen sanft zu quetschen. Halten Sie an, zeigen Sie Interesse und lassen Sie sich zeigen, wie dieses uralte Verfahren funktioniert. Mich persönlich fasziniert es immer wieder, wie mit Hilfe dieses so einfachen Verfahrens eine Möglichkeit entwickelt wurde, die effektiv gegen Hunger in einer der lebensfeindlichsten Regionen der Erde hilft – vor tausenden von Jahren ebenso wie in der heutigen Zeit.

Bis in einer Woche

Martina Ehrlich

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