Das heutige Nordchile war Mitte des 19. Jahrhunderts in Besitz von Chile, Bolivien und Peru. Hier lagen und liegen die größten Salpetervorkommen Südamerikas, was zwar schon zu Kolonialzeiten bekannt war, jedoch wusste noch niemand von den Nutzungsmöglichkeiten des Salpeters. Die Gebiete waren deshalb für die Eroberer uninteressant und auch der Grenzverlauf war deshalb nicht wirklich relevant.
Als allerdings der Deutsche Justus von Liebig – Professor an der Universität von Gießen – die mögliche Verwendung des Salpeters als bestes Düngemittel erkannte und sich fast zeitgleich herausstellte, dass Salpeter zur Herstellung von Schießpulver und Sprengmittel genutzt werden kann, wurde die Wüste plötzlich interessant und wertvoll. Ein gemeinsames Vertragswerk zwischen Peru, Bolivien und Chile, das den friedlichen Abbau von Bodenschätzen im Grenzgebiet regeln sollte, löste Streitigkeiten aus und es herrschten unterschiedliche Ansichten über den genauen Grenzverlauf. 1873 beschlossen Peru und Bolivien einen Beistandspakt gegenüber Chile, das sich seinerseits in England zwei gepanzerte Kriegsschiffe mit damals modernster Waffentechnik bestellte. Mit diesen neuen Schiffen blockierte Chile den bolivianischen Hafen Antofagasta, woraufhin Bolivien Chile den Krieg erklärte. Chile schlug die Bolivianer ohne Schwierigkeiten in der Schlacht von Calama und erklärte daraufhin auch Peru den Krieg. Dies markierte den Beginn des sogenannten Pazifik- oder auch Salpeterkrieges, der als härteste blutigste Auseinandersetzung an der Westküste Südamerikas in die Geschichte einging. Letztlich ging Chile als Sieger dieses Krieges hervor. Am 20.10.1883 wurde ein Friedensvertrag mit Peru geschlossen sowie mit Bolivien ab 1884 ein Waffenstillstand und seit 1904 ebenfalls ein Friedensvertrag.
Durch die gewonnene Monopolstellung für den Salpeterabbau begann ein goldenes Zeitalter für Chile. Bis zu 50 % der Staatseinnahmen kamen aus dem Salpeter! Denn vor allem während des ersten Weltkrieges war die Nachfrage nach Schießpulver überaus groß! Chile-Salpeter – genannt „Caliche“ – tritt in Tiefen bis zu vier Metern auf und ist meist vermischt mit Ton, Sand und Salzen. In den großen Industrieanlagen, den sogenannten „Salitreras“, wurde Salpeter aus dem Gemisch herausgetrennt.
Die total isolierte Wüstenregion wurde nun mit größten Anstrengungen erschlossen. Das Eisenbahnnetz wurde ab Santiago hoch in den Norden bis nach Iquique ausgebaut plus zusätzliche Querverbindungen in die Wüste zu den Abbaustätten. Es entstanden aus dem Wüstenboden über 200 Siedlungen und sogar ein paar wohlhabende Städte. Zeitweise lebten im unwirtlichen kargen Norden mehr Menschen als im fruchtbaren Süden des Landes.
Wie so oft zu Boomzeiten wurden andere Wirtschaftszweige vernachlässigt. Als wiederum die Deutschen 1920 das Haber-Bosch-Verfahren mit der synthetischen Herstellung von Schießpulver erfanden, stürzte Chile in eine schwere wirtschaftliche Krise und die Wüstenstädte wurden zu Geisterstädten…
Die „Oficina Santiago Humberstone“ sowie die „Oficina Santa Laura“ liegen relativ gut erreichbar und nahe beieinander oberhalb der nordchilenischen Küstenstadt Iquique und können heute besucht werden. Beide stehen symbolisch für den Glanz der Salpeter-Hochzeit und wurden deshalb 1970 vom Erziehungsministerium zum Nationaldenkmal Chiles erklärt. Sie gelten als wichtiges Beispiel der Industrialisierungsepoche der Menschheit. Deshalb werden sie von der Privatorganisation „Museo Arqueologico Industrial Salitreras Nebraska“ langsam wieder rekonstruiert.
Hier ein paar nähere Infos zur „Oficina Santiago Humberstone“: diese wurde 1872 noch vor dem Salpeterkrieg von der peruanischen „Nitrate Company“ unter dem Namen „La Palma“ eröffnet. 1877 wurde hier Salpeter mit einem Wasserdampf-System gewonnen. La Palma hatte damals eine Ausdehnung von 441 Hektar und 123 Einwohner. 1907 war die Einwohnerzahl auf 859 angewachsen. Als „La Palma“ 1933 in eine wirtschaftliche Krise fiel, wurde sie von der Firma „COSATAN“ übernommen und in Gedenken an den englischen Chemie-Ingenieur zur „Oficina Santiago Humberstone“ umbenannt.
Dieser kam 1850 in Dover zur Welt und erhielt in London den Ingenieurstitel der Chemie. Mit 25 Jahren kam er nach Chile und arbeitete in der „Oficina Agua Santa der Compania Salitrera de Tarapacá“. Er entwickelte das sogenannte „SHANKS-Verfahren“ zur Gewinnung des Salpeters mit Hilfe von Wasser. Diese Neuerungen förderten die Weiterentwicklung und waren Beginn einer ganzen Reihe von Entdeckungen, die die Salpeterindustrie innerhalb eines halben Jahrhunderts zum Florieren brachten. Santiago Humberstone fand sowohl national wie international höchste Anerkennung und erhielt 1936 vom britischen König das Bundesverdienstkreuz. Er starb 1939 und wurde nördlich der „Oficina Santiago Humberstone“ begraben. Von seinen 89 Lebensjahren verbrachte er 64 Jahre „mit Salpeter“ und wird bis heute als „Vater des Salpeters“ bezeichnet.
1934 wurden in der „Oficina Santiago Humberstone“ eine Kirche, ein Markt, ein Hotel, ein Theater, ein Krankenhaus, eine Schule, ein Schwimmbad, noble Häuser für die Geschäftsführer, bescheidenere für die Büroangestellten und einfache für die Arbeiter sowie Läden, Sportplätze und Grünanlagen angelegt. Alle Wohnbereiche erhielten Elektrizität sowie Trinkwasser. Die Glanzzeit der Salpeterstadt war zwischen 1933 und 1940, als die Einwohnerzahl von 1300 auf 3700 stieg! 1960 geriet „COSATAN“ in eine Krise. Die Industrieanlage wurde geschlossen und 1961 schließlich verkauft.
Heute gilt die „Oficina Santiago Humberstone“ als eine der besterhaltenen Salpeter-Geisterstädte, in der die neuen architektonischen Veränderungen in der Zeit der Industrialisierung
gut nachvollzogen werden kann.
Wenn Sie also einmal nach Nordchile reisen, so lohnt neben der faszinierenden Natur der Region auch ein Besuch dieser historischen Stätten nahe Iquique – sozusagen ein Stück Geschichte „zum Anfassen“. Die heutige Hafenstadt Iquique war zur Salpeter-Hochzeit übrigens einer der Verschiffungshäfen des „weißen Goldes“ von Südamerika nach Europa und in die USA. Auch in Iquique findet man historische alte Gebäude und Straßenzüge wie aus einer anderen Epoche…
Ihnen wünsche ich schöne Sommertage
Martina Ehrlich