Im letzten Blogbeitrag habe ich ein bisschen etwas über die Entwicklung der Wüstenoase San Pedro de Atacama geschrieben – von den ersten Anfängen der indigenen Besiedlung bis ins Heute, in der der Ort ein beliebter Touristenmagnet in Nordchile ist. Solch ein Hype konnte ja nur deshalb entstehen, weil es um San Pedro viele einzigartige besuchenswerte Ziele gibt. Einer davon ist „El Tatio“ – das weinende Großväterchen…
Es gibt auf unserer Erde gewiss spektakulärere, höhere Wasser speiende
Geysire. Wer beim Besuch von El Tatio solche Erwartungen im Gepäck hat, wird
enttäuscht werden. Aber mit guten Vorkenntnissen und dem Gespür für besondere
Plätze wird El Tatio eindrucksvoll und unvergesslich. Das Geothermalgebiet
mit seinen Geysiren und heißen Quellen liegt knapp 100 km von San Pedro de
Atacama entfernt und die Anfahrt führt fast nur bergauf durch herrliche
Hochandenlandschaft auf meist holpriger Piste über einen Pass von 4.300 Metern
über dem Meeresspiegel. El Tatio befindet sich direkt in einem Hochwüstental
auf 4.280 Metern an der Grenze zu Bolivien und ist umgeben von
Vulkanbergen. Von den ca. 110 eruptierenden Quellen sind gut 80 als echte
Geysire klassifiziert worden. Nachts wird es oft bis minus 20 Grad Celsius
kalt, weshalb morgens eiskalte Temperaturen herrschen und alles bis zum
Sonnenaufgang gefroren ist. Immerhin ist El Tatio nach dem Geothermalgebiet im
Yellowstone-Nationalpark und dem in Dolina Geiserow in Russland das
drittgrößte weltweit. Auf der Südhalbkugel ist es das größte Geysirfeld,
man spricht von ungefähr acht Prozent aller existierenden Geysire, die sich
hier in Nordchile entladen. Und El Tatio ist definitiv das höchstgelegene
Geysirfeld der Erde!
Das Außerordentliche an El Tatio ist, dass die Geysire nur morgens zum Aufgang der Sonne den aufgebauten Druck über ihre Dampfsäulen in den Morgenhimmel entladen. Das bedeutet, dass man entweder am Nachmittag oder Abend vor dem allmorgendlichen Spektakel nach El Tatio fährt und dort dann an einem sicheren Ort im Fahrzeug oder Zelt den eisigen Nachttemperaturen trotzt bis zum Morgen. Oder dass man sich einer der angebotenen Touren anschließt, die Teilnehmende in aller Herrgottsfrühe an den Unterkünften abholen und dann durch dunkle Nacht und schließlich die Dämmerung aufwärts rumpeln, um pünktlich vor Sonnenaufgang oben anzukommen. Die Umgebung wird allmählich hell, aber es dauert einige Zeit, bis „das weinende Großväterchen“ in Wallung kommt. Schließlich dampft, grollt, sprudelt und stößt die Erde den aufgestauten Druck über kleine Krater nach oben. Wenn die Sonne dann über die Bergflanke klettert und das gesamte wunderschöne andine Hochtal in sanftes bezauberndes Licht hüllt, werden die Dampfsäulen bereits wieder kleiner und sinken allmählich zurück in den Schoß der Erde. Im Hintergrund des Geysirfeldes kann man den Grenzvulkan Cerro Tatio mit 5.314 Metern Höhe sehen.
Die Geysire von El Tatio entstehen dadurch, dass das Wasser aus den umliegenden Schneefeldern auf den mächtigen Bergen durch deren poröses Oberflächengestein in tiefere Schichten absickert. Es trifft in diesem Hochtal dann unterirdisch auf wasserundurchlässige Gesteinsschichten, die zugleich Kontakt zu heißer Vulkanmagma besitzen. So wird das Wasser allmählich wie in unterirdischen Heizkesseln immer mehr erhitzt, und es entsteht – gemäß den physikalischen Regeln – starker Druck, der nach oben entweichen will. Durch Kanäle entweicht der massive Wasser- und Wasserdampfdruck schließlich an die Erdoberfläche. Wegen der kalten Außentemperaturen verdampft das entweichende Wasser sofort mit lautem Zischen. Deshalb sieht man in El Tatio keine Wasserfontänen, sondern Säulen aus Wasserdampf. Da das Wasser auch kleine Gesteinspartikel und Mineralien mit nach oben bringt, bilden sich an manchen Austrittsöffnungen über die Jahrtausende kleine Krater oder bis zu einem Meter hohe Kamine. Auch der ebene Boden ist bedeckt von verschiedenartigen Mineralablagerungen sowie Algenkolonien. Der Wasserdampf soll um die 70 Grad Celsius heiß sein, austretendes Wasser kühlt am Boden sofort auf 50 Grad Celsius ab.
Geplant war einst, die Geysire von El Tatio per Turbine zur Stromgewinnung zu nutzen. Die Ruinen dieses Projektes stehen noch mitten im Geysirfeld in Form von etwa zehn Arbeiterbaracken einem gemauerten Schwimmbecken, in dessen 30 Grad Celsius warmem Wasser man auch heute noch baden kann. Das Projekt stellte sich allerdings rasch als unrentabel heraus, da keine gleichbleibende Energie gewonnen werden konnte. Die Geysire sind je nach Außentemperatur und weiteren Faktoren an manchen Tagen mehr und an manchen weniger aktiv. Und sie sprühen wie schon gesagt nur morgens bei Sonnenaufgang, davor und danach blubbern sie nur vor sich hin. El Tatio soll aus der indigenen Sprache der Cunze stammen und so viel wie „Weinender Großvater“ bedeuten, womit das Blubbern, Sprühen und Zischen der Geysire am Morgen gemeint ist.
Durch die Höhe sinkt der Siedepunkt des Wassers und er liegt in El Tatio bei 86 Grad Celsius. Oft werden bei den angebotenen Touren Eier im heißen Geysirwasser weichgekocht zum angebotenen Frühstück, sie brauchen einfach entsprechend etwas länger. Bei einem Besuch des Geysirfeldes sollte man gut aufpassen, wo man hintritt – es sind schon Leute durch dünne Erdschichten in die heißen Becken eingebrochen und haben sich fürchterlich verbrüht. Es gibt warnende Mäuerchen an einigen Stellen, die unbedingt respektieret werden sollten. Durch die sehr kalten Außentemperaturen (unbedingt Daunenjacke, dicke Handschuhe und Mütze mitbringen) sind die aufsteigenden warmen Dampfsäulen sehr verlockend, um sich ein bisschen aufzuwärmen, aber – wie gesagt – man muss genau schauen, wohin man tritt. Außerdem ist es nach dem „warmen Bad im Wasserdampf“ anschließend gefühlt doppelt kalt… Hingegen ist ein Bad im Becken der ehemaligen Arbeiter inmitten des sagenhaften Panoramas ein purer Genuss.
Bei der Rückfahrt nach San Pedro de Atacama sieht man dann auch die atemberaubende Landschaft der Hochwüste der Atacama mit ihren Vulkanen, Lagunen, Wasserläufen, Vögeln und Kameliden. Oft wird ein Stopp in einem der pittoresken Andendörfer eingelegt, in dem Kakao, Tee und Kaffee verkauft wird. Obwohl man nicht viel körperlich leistet bei diesem Ausflug, so ist er doch anstrengend und darf in der Planung nicht unterschätzt werden – das frühe Aufstehen, die Kälte, die Höhe, die intensive Sonne sowie die Eindrücke kosten Kraft. Aber es lohnt sich!
Bis in zwei Wochen sprudelnde Grüße
Martina Ehrlich