Vom Kontinent des Kolibris 75 – nur ein Berg in eisiger Höhe? - Leguan Reisen GmbH

Die bolivianische Stadt Potosí ist in vielerlei Hinsicht eine außergewöhnliche Siedlung im südlichen Zentralbolivien. Sie liegt in der sehr kargen Hochebene zwischen 3.976 und 4.070 Metern über dem Meeresspeigel und gilt heute mit ihren knapp 175.000 Einwohnern als eine der höchstgelegenen Großstädte der Erde. Durch die extreme Höhenlage nimmt Potosí jedem Besucher erstmal den Atem… Und wirkt – außer im kolonialen Zentrum – auch nicht unbedingt sehr einladend.

Warum gibt es in solch unwirtlicher Gegend überhaupt eine Großstadt? – Wie immer kann es dabei nur um Geld und Macht gehen… In Potosí erzählt uns die Geschichte von einer grotesken und äußerst unmenschlichen Entwicklung. Es ist ein „unschuldiger Berg“, dem diese Stadt ihre Existenz verdankt und der sich nach wie vor wie ein Mahnmal hinter Potosí erhebt. Der ebenmäßig ansteigende 4.800 Meter hohe Cerro Rico – was übersetzt „reicher Berg“ heißt – leuchtet während der Trockenzeit oft in herrlichen Farben im Sonnenlicht und ist ein beliebtes Fotomotiv der Stadt.

Doch welche Geschichte voller Exzesse, Dramen und Ungerechtigkeiten haben sich seit dem 16. Jahrhundert im Cerro Rico und in Potosí abgespielt…

Schon zu Hochzeiten des Inkaimperiums wusste man um Silbervorkommen im Cerro Rico und hat diese von Arbeitern fördern lassen. Die spanischen Konquistadoren waren von Beginn an interessiert an der Ausbeutung der Bodenschätze des neu eroberten Landes und sie mussten dazu nur schauen, wo der Reichtum des Inkaadels seinen Ursprung hat. So gelangten sie also auch an den Bergkegel in schwindelnder Höhe und es setzte alsbald ein blinder Boom zum Berg voller Silber ein. Völlig unkontrolliert wurde aus der Umgegend alles Holz hergebracht und in tausenden Feuern an den Bergflanken das Gestein geschmolzen. Es gab Mord und Todschlag.

Um dieses Chaos besser kontrollieren zu können, wurde am 10. April 1545 Potosí als Bergbausiedlung gegründet. Der Berg, der „unendlich viel Silber spuckt“, wurde bekannt und bekannter und er zog immer mehr Glücksuchende an. Schon 1553 wurde Potosí zur „Villa Imperial“ – einer Reichsstadt. Der Cerro Rico wurde zur Hauptquelle des spanischen Silbers und Potosí erlebte eine unglaubliche Blüte – trotz der Lage fernab jeglichen Komforts und der Herausforderung in dieser extremen Höhe. Finanziers und Gouverneure ließen sich in Potosí edle Paläste errichten, Kirchen erbauten Gotteshäuser samt Klosteranlagen, 1572 wurde mit dem Bau eines königlichen Münzpalastes begonnen. Silber aus Potosí wurde in die ganze Welt verschifft. Dies zog nur noch mehr Menschen in die Stadt, Spielkasinos und Prostitution blühten. Da in der kargen, kalten Umgebung auf 4.000 Metern über dem Meeresspiegel keine Landwirtschaft möglich ist und gleichzeitig eine relativ kaufkräftige große Einwohnerzahl versorgt werden musste, entstand ein entsprechend angepasstes Beschäftigungsfeld: es mussten Lebensmittel, Bau- und Brennholz, Schwarzpulver für die Sprengungen, Kokablätter sowie andere Güter herangeschafft werden Außerdem musste das Silbers über riesige Distanzen zu den Häfen gebracht werden.

Die europäischen Eroberer lebten in Potosí in Saus und Braus. Als Arbeiter wurden die Männer der Indigenen aus ihren Siedlungen geholt und zur Arbeit im Cerro Rico gezwungen. Immer tiefer wurden die Stollen in den Berg getrieben – es gibt Berichte darüber, dass die Arbeiter nurmehr am Sonntag für kurze Zeit das Tageslicht zu Gesicht bekamen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Konsum von Kokablättern freigegeben, denn es war schnell klar, dass die Arbeiter mithilfe des Kauens von Kokablättern länger und härter arbeiten konnten. – Dennoch lag die Todesrate im Cerro Rico extrem hoch. Die Arbeiter starben an Krankheiten, an Erschöpfung und bei Unfällen in den nicht gesicherten Schächten und Stollen. Man spricht heute davon, dass um die 8 Millionen Indigene im Cerro Rico ihr Leben lassen mussten! Ich hatte mal folgenden Satz so oder so ähnlich von Eduardo Galeano gelesen: „Man könnte aus dem Silber des Cerro Rico eine Brücke von Potosí bis nach Sevilla – den Ankunftshafen des Silbers in Spanien – errichten, und zurück eine Brücke aus all den Toten, die der Berg gefressen hat.“ Um 1611 war Potosí mit 150.000 Einwohnern zu einer der größten Städte der Welt aufgestiegen, wobei ca. 13.500 Arbeiter unter Tage Silber förderten.

Potosí war jahrhundertelang in der ganzen Welt ein Synonym für unsagbaren Reichtum. Es gibt im Spanischen noch die Redensart „Vale un Potosí“ = „Es ist ein Vermögen wert“, die aus dem Buch „Don Quijote de la Mancha“ von Miguel de Cervantes stammt. Zur Hochzeit der Silberproduktion soll die Stadt Potosí in vielen Karten mit einer Silbernadel markiert gewesen sein. Es kam zu völlig irrsinnigen Aktionen. Zum Beispiel ließen sich manche reichen Geschäftsleute bei ihren Pferden die Hufe aus purem Silber beschlagen. Oder es wurde beim Besuch des spanischen Königs die komplette Strecke, die dieser hoch zu Ross durch die Straßen von Potosí zurücklegte, das Kopfsteinpflaster durch Silberbarren ersetzt…

Letztendlich fraß der Reichtum auch den Reichtum auf: denn als Konsequenz des vergrößerten Angebots kam es zu einer deutlichen Verringerung des Silberwerts. 1719 raffte in nur zehn Monaten zusätzlich Typhus in Potosí ca. 22.000 Menschen dahin. Nach 1800 erschöpften sich die Silbervorkommen immer mehr. Stattdessen gewann Zinn an Bedeutung, dessen Hauptvorkommen bei Oruro lagen. Dies führte zum langsamen wirtschaftlichen Niedergang Potosís.

Potosí heute? Die Altstadt beherbergt viele prächtige Kolonialgebäude aus dem 17. und 18. Jahrhundert und gehört seit 1987 zum UNESCO Weltkulturerbe. Die Gebäude außerhalb des Zentrums sowie die Arbeiterviertel nahe des Cerro Rico sind aus einfachen Lehmziegeln errichtet. Und noch heute schürfen meist indigene Bergleute unter grausamen Sicherheits- und Umweltbedingungen in organisierten Genossenschaften im „reichen Berg“. Der Berg ist mittlerweile ausgehöhlt wie ein Schweizer Käse und schenkt nicht mehr allzu viel Ertrag. Zinn, Blei, Zink und Kupfer, daneben Wismut und Antimon werden in kleineren Mengen abgebaut. Als Besucher der Stadt kann man eine Tour in Begleitung eines Guides in die Stollen des Cerro Rico buchen. Und wenn man weder unter Platzangst leidet noch Schmutz und fatale Bilder scheut, dann gehört solch eine Tour gewiss zu den Erlebnissen, die man sein Leben lang nicht vergisst. Auch heute noch kauen die Arbeiter ihre Kokablätter, haben Hochprozentiges dabei, bitten allmorgendlich den Berggott „Tio“ um Schutz in den Stollen und arbeiten unter verheerenden Bedingungen. Es sind Kinder, die am Ende der Stollen die Dynamitschnur entzünden, weil sie am schnellsten beim Weglaufen sind und man damit Kosten sparen kann.

Dies alles einmal mit eigenen Augen zu sehen, prägt sich ein und macht dankbar für das eigene Glück im Lebens-Roulette. Über all dem thront der Cerro Rico in seinen warmen Farben – unschuldig und doch eines der bedeutendsten Mahnmale der lateinamerikanischen Geschichte…

Ihnen wünsche ich einen schönen dritten Advent

Martina Ehrlich

Norwegenfahrt der CAPE RACE von Hamburg nach Bodø – Teil 1

16 Apr, 2025
Norwegenfahrt der CAPE RACE von Hamburg nach Bodø – Teil 1 (von Hamburg nach Bodö, abgeschickt am 08. 4. 2025) von Andreas Umbreit (Expeditionsleiter)

Notizen aus dem Eis 132 | Auf der Suche nach guten Nachrichten

3 Apr, 2025
Man möchte ja gerne mal was Positives vermelden, wenn es ums Klima geht und die Erderwärmung und das Eis sowieso. Aber das wird immer schwieriger: Im März, wenn das arktische Meereis alljährlich seine größte Fläche erreicht, wurde jetzt so wenig Eis wie noch nie gemessen.

Vom Kontinent des Kolibris 86 – von der Oase zum hippen Wüstenort - Leguan Reisen GmbH

27 Mar, 2025
Wer in Chile in die weltweit bekannte Atacamawüste reisen möchte, stößt bei seiner Recherche unwillkürlich auf den Wüstenoasenort San Pedro...